Finn braucht einen Wart

Kling Kling, Ring Ring & Düddelidü. Chhhhrrrrz Chhhhhrrrz, Piep Piep Piep, Ring Ring. 

Mein Montag morgen für euch schriftlich vertont. Meine Stimmung? Montag halt. Kaffee und Mate helfen dagegen. Aber dieser Montag ist besonders anstrengend. Denn ich bin müde. Sehr müde. Dass das bei mir nichts neues ist, weiß man spätestens dann, wenn man die Jobs für unsere Aktionen betrachtet. Dort findet man unter den normalen Zeltlager-Jobs, wie Krankendienst (KraDi), Kiosk-Team und Fundsachenwart, auch den Finn-Wart.

Man könnte sich jetzt denken: „Oh, wie toll! Jemand der nur für mein Wohl sorgt.“ Aber so einfach ist das leider nicht. Stellt euch vor ihr hättet im Sommer eine Spinne samt Netz vor eurem Fenster. Zum einen hilfreich, da die Mücken nicht rein kommen, zum anderen nervig, weil es eben eine Spinne ist. So ist es auch mit dem Finn-Wart. Dieser sorgt dafür, dass ich rechtzeitig zu Bett gehe und nicht die ganze Nacht durch Bilder vom Tag sortiere, einen Tagesbericht für die Homepage erstelle, Abrechnungen mache, Ideen ausarbeite und und und … 

Dieses „zu Bett geschickt werden“ ist dann meist gegen 3.00 Uhr. Zeltlager eben. Mein Problem damit: Wenn ich rechtzeitig zu Bett geschickt werde, bleibt meist was liegen. Und das muss dann am nächsten Tag, während den Aktionen gemacht werden, was natürlich nicht so super ist. Denn auch ich fahre nicht ins Zeltlager, um Papierkram zu machen, sondern Spaß auf dem Lagerplatz zu haben.

Dabei hatte ich schon strenge und weniger strenge Wärte. Welche, die ihre Aufgabe sehr ernst genommen haben und welche, die durch ihre Aufgabe selbst deutlich später zu Bett gekommen sind. Viele von diesen Wärten haben mich dann auch in den Aufgaben unterstützt und das ist echt eine große Hilfe. Denn es ist Wahnsinn, wie viel in Zeltlagern in der Nacht noch geregelt wird. Oben habe ich ja schon mal eine Aufzählung mit den Sachen angefangen, die ich häufig mache. Aber da gibt es noch andere Geister, die statt zu schlafen, lieber Deko für den kommenden Tag basteln, die Lagerzeitung schreiben und gestalten, sich Anekdoten erzählen, das Magic-Duell zu Ende bringen, welches sie am Tag für das Mittagessen unterbrechen mussten, und und und.

Also an alle Menschen, die sich noch nicht damit beschäftigt haben, warum am letzten Tag nur noch Koffein-Zombies mit Augenringen bis zum Boden über das Lagergelände schleichen: Diese nächtlichen Aktivitäten sind der Hauptgrund dafür.

Wake me up, when the lager ends

Du stehst auf und musst dich erstmal kurz sortieren. Es ist hell, mollig warm und irgendwie spürst du deinen linken Arm nicht mehr. Du sitzt, bzw. liegst, also eigentlich irgendwas dazwischen, auf dem Sofa im Vorzelt deines Nachbarzelts und auf deinem Arm liegt dein*e beste*r Freund*in. Vor deinen Augen geht die Sonne von Tag 18 auf und der letzte Tag des Lagers beginnt.

Für dich beginnt er mit dem Eingeständnis, dass du es schon wieder nicht geschafft hast, die letzte Nacht durchzumachen. Du ärgerst dich kurz, dann merkst du aber schnell, dass es aus eurem Kleinteam scheinbar auch niemand anderes geschafft hat und du musst grinsen. Dennoch war der letzte Abend mega cool. Es gab Lagerfeuer mit Stockbrot und Marshmallows, geiles Fingerfood als Abendbrot, es hat eine Band auf der Bühne gespielt und danach gab es noch eine Disko. Im LaLei liefen die Bilder vom ganzen Lager und zum Schluss haben noch viele am verglühenden Lagerfeuer gesessen und dein*e Lieblingsbetreuer*in hat ein paar Songs auf der Gitarre gespielt.

Dich freut am meisten, dass du im Lager neue Leute kennengelernt hast und ihr euch geschworen habt, auch nach dem Lager in Kontakt zu bleiben. Daher habt ihr auch eure Handynummern ausgetauscht (einfach den Snapcode abfotografieren geht ja nicht, das Handy liegt ja zu Hause).

Die anderen sind inzwischen auch wach und ihr geht gemeinsam runter zum Frühstück. Auf dem Weg merkst du schon, dass die Stimmung irgendwie komplett gedrückt ist. Und kaum seid ihr im Esssaal, seht ihr die ersten an den Tischen mit verheulten Augen. Eigentlich wolltest du gar nicht weinen, aber auch dir fangen an, die Tränen zu kommen. Doch du kannst es noch unterdrücken. Noch.

Wie gerufen kommt nach dem Frühstück Abwechslung: Die abschließende Müllkette steht an. Also alle laufen von einem Ende des Lagers zum anderen und sammeln in einer Kette Müll. Auch wenn es sonst nicht so auffällt, da kommt einiges zusammen. Viele meckern immer über die Müllkette, aber eigentlich geht es so doch am schnellsten und es muss nunmal gemacht werden.

Bevor das Lager ganz zu Ende geht, musst du noch deine Tasche zu Ende packen. Wobei packen sehr optimistisch formuliert ist. Eigentlich drückst du solange auf deinen Koffer, bis sich endlich der Reißverschluss schließen lässt. Als du fertig bist, merkst du, dass der Schlafsack noch fehlt. Den Schlafsack zurück in seine Hülle zu quetschen, ist auch wirklich das absolute Kryptonit eines jeden Zeltlagermenschens. Aber nach nichtmal 15 Minuten und nur sechs Versuchen hast du es endlich geschafft. 

Lange Zeit, sich darüber zu ärgern, bleibt nicht, denn die Essensglocke schallt über den Lagerplatz. Doch nicht, weil es noch ein Mittagessen gibt. Es sollen alle auf die Wiese vor dem Haupthaus kommen, damit der Abschiedskreis starten kann. Nach und nach trudeln alle ein, stellen sich in den riesigen Kreis und die Lagerleitung hält noch eine bewegende Ansprache mit sehr vielen Danke’s an alle. 

Und dann geht es richtig los. Die traurige Musik schallt so laut, wie du es im Lager gewohnt bist, aus den Boxen und die Lagerleitung fängt an rum zu gehen. Natürlich nicht in deine Richtung, also dauert es noch ewig, bis die Umarmungen und Abschiede bei dir angekommen sind. Für dich wird die Musik gefühlt immer trauriger und es wird immer schwieriger, deine Tränen zurückzuhalten.

Das klappt auch so lange, bis dein*e Lieblingsbetreuer*in vor dir steht und es gibt kein Halten mehr. Du heulst wie ein Schlosshund und die Umarmungen und “Tschüss” werden immer härter. Irgendwie nimmt dieser Moment kein Ende. Wie können diese 18 Tage denn schon wieder vorbei sein? Und warum kann nicht einfach jeder Tag Zeltlager sein? Schule könnte doch auch mehr zum Zeltlager werden. Dann lernt es sich auch besser…

Nach gefühlt acht Stunden ist dann auch der Abschiedskreis vorbei und es haben sich kleinere Gruppen gebildet. Du stehst mit deinem Zelt Arm in Arm und irgendwie ist es ein schönes Gefühl. Ihr seid eine Gemeinschaft und euch kann nichts trennen. Du weißt zwar, dass deine Eltern schon da sind und dich abholen wollen, aber es ist dir egal. Denn, wenn du zu ihnen gehst, ist es wirklich vorbei mit dem Lager. Und das willst du so lange, wie noch irgendwie möglich hinauszögern.

Lagerabsagen und Corona-Freizeiten

Die Welt wird sich in eine Zeit vor und eine Zeit nach Corona teilen, darüber sind wir uns inzwischen einig. Aber wird es diese Einteilung auch in der Jugendarbeit, auch im Zeltlager geben? Das ist natürlich ein Blick in die Glaskugel und kann somit nur eine Mutmaßung sein.

Eines ist auf jeden Fall klar, wir werden in den kommenden Wochen und Monaten eine ganz neue Art der Jugendarbeit erleben. Gerade in der Jugendarbeit kommt es auf Begegnungen an. Auch und gerade auf körperliche Begegnungen. Wie in allen anderen Teilen der Gesellschaft ist das auch in der Jugendarbeit, bzw. im Zeltlager derzeit nicht möglich.

Gerade die Zeltlager-Teams sind dabei Horte der Kreativität. Zum einen kommen dort viele junge Menschen zusammen, für die das Internet kein #Neuland ist, sondern fester Bestandteil des gesamten Lebens. Zum anderen kennen Zeltlagermenschen sich damit aus, sich spontan an veränderte Bedingungen anpassen zu müssen. Meist ist das ein*e fehlende*r Betreuer*in, ein fehlendes Kostüm oder ein Material, das vergessen wurde einzukaufen.

Jetzt ist es halt Corona. Und so machen sich die Teams daran, Online-Formate zu überlegen, um im Kontakt zu bleiben und dieses Zeltlagerfeeling nicht ganz aus dem Leben zu verlieren. Dabei wurden im ersten Moment die bekannten Kanäle ausgebaut. Instagram-Stories, YouTube-Videos oder Beiträge auf Facebook. Alle machen mit, Anekdoten können ausgetauscht werden und man vergisst sich nicht so schnell.

Nachdem für immer mehr Zeltlager eine Absage zur Realität wird, wagen sich einige Teams nun an Veranstaltungen via Videokonferenzen. Nicht nur Teamsitzungen, sondern auch Shows “für die ganze Familie” und Fortbildungen werden digital fortgeführt. Diese Pandemie kriegt uns nicht platt. Und vermutlich werden wir auch einige Dinge in die Post-Corona Zeit mitnehmen. Denn Krisen bieten auch immer Chancen, auch wenn wir sie gerade vielleicht noch nicht so stark wahrnehmen.

Werden wir die Zeit im Zeltlager in eine Prä- und Postcoronazeit einteilen können?

Auch wenn wir hier nicht schwarz malen wollen, vermutlich werden die ersten Zeltlager, wie wir sie kennen und lieben erst im Herbst ‘21 wieder möglich sein. Diese Annahme beruht auf der Findung eines Impfstoffs bis zum Frühjahr des kommenden Jahres. Bis dann alle gegen Corona geimpft sind, wird es vermutlich Spätsommer sein. 

Doch, wie schon beschrieben, wird es in der Zwischenzeit weiterhin Jugendarbeit geben. Und auch wenn wir es uns jetzt noch nicht vorstellen können, werden wir vermutlich im nächsten Jahr die ersten Zeltlager unter den strengen und notwendigen Hygienekonzepten geben. Natürlich werden diese Freizeiten einen komplett anderen Charakter haben. Aber auch in diesen Veranstaltungen liegen Chancen für neue Großspiele, Abendshows und AGen. 

Es wird alles nicht einfach. Es wird sich ungewohnt anfühlen und vermutlich auch sehr anstrengend werden. Aber da wohl die wenigsten von uns zeltlagerbegeisterten Menschen ein oder mehr Jahre ohne Lager auskommen will, wird es Corona-Lager geben. Auf jeden Fall wird es spannend. What a time to be alive.